Ich vertraue dir

Ich vertraue dir

Seit 18 Jahren bist du an meiner Seite. Als du mich kennenlerntest, warst du von meinem schüchternen Blick noch etwas irritiert. Ich war ein junger, vom Leben oft herausgeforderter Suchender. Später hast du mir erzählt, dass sich meine Haut damals wie eine Panzerung angefühlt hat. Sie war weich und gepflegt, aber dennoch war da irgendetwas Hartes an ihr. Daran änderte auch meine geliebte Körperlotion nichts, deren Duft du nicht mochtest. Mir war von der ersten Begegnung an klar, dass ich dich liebe. Du hast dafür noch eine Zeit gebraucht. Und es war gut so. Ganz langsam, Schritt für Schritt, näherten wir uns einander nicht nur körperlich, sondern auch emotional an, trotz der örtlichen Distanz, die wir noch eine Weile beibehielten. Damals wohnten wir noch in verschiedenen Städten, 200 km voneinander entfernt. Wir mussten beide erst unsere Unsicherheiten überwinden. Mussten den Mut aufbringen, uns aufeinander einzulassen. Ich kannte dich noch nicht, aber ich vertraute dir. Und du mir. Wir trugen und vertrauten uns gegenseitig. Bis heute.

Apropos Vertrauen: Ich war noch ziemlich jung, aber schon alt genug, um die BRAVO zu lesen. Unsere Mutter kaufte uns die Zeitschrift jede Woche, zusätzlich zum kleinen Taschengeld, das wir bekamen. Eines Tages saßen wir zu Dritt am Wohnzimmerteppich, meine Mutter, meine Schwester und ich. Wir blätterten gemeinsam im Heft und landeten bei Dr. Sommer. Wir lasen zusammen die kurzen Beiträge und irgendwann fragte mich meine Mutter, welche Mädchen mir gefallen würden. Sie wusste: Da gab es diese Pamela, der ich im Park aus Neugier einmal ein Bussi gegeben hatte. Aber im Grunde interessierten mich Mädchen in der Hinsicht nicht besonders. Ich bevorzugte Superman. Den großen, starken Mann mit den dicken Muskeln. Damals vertraute ich mich meiner Mutter an und erzählte, frei von der Leber und ohne lange darüber nachzudenken, dass ich mich zu Jungen hingezogen fühlte. Daraufhin änderte sich schlagartig die Atmosphäre, die ich bis dahin als vertrauensvoll wahrgenommen hatte. Meine Mutter schlug das Heft zu, sprang auf, wurde laut und rannte davon. Danach sprach sie nicht mehr mit mir. Als Papa Nr. 3 am Abend heimkam, hörte ich, wie sie ihm aufgebracht etwas über „Worme“ erzählte. Jahrelang verloren wir darüber kein Wort mehr. Ich hatte auch keinerlei Bedürfnis, mich noch einmal mit meinem Gefühls- und Liebesleben meinen Eltern anzuvertrauen. Erst Jahre danach, im Erwachsenenalter, als ich bereits meinen wunderbaren Mann gefunden hatte, fanden wir wieder eine Gelegenheit über meine sexuelle Identität zu sprechen. Die Eskalation rund um Dr. Sommer ließen wir dabei aber aus, um den Frieden zu wahren.

Während ich schreibe, liegst du im Raum nebenan. Ich höre dich nicht, aber ich bin mir sicher, dass du schnarchst. Gleich wirst du kommen und dich mit deinem Kaffee neben mich setzen. Darauf freue ich mich schon. Ich bin dir sehr dankbar für unsere Jahre voller Wärme, Vertrauen und Geborgenheit.

Auszug aus meinem Buch „Die Suche nach Geborgenheit“.