Vorbemerkung: Den folgenden Text habe ich am 21.08.2022 geschrieben. Da ich gestern aber erfahren habe, dass mein leiblicher Vater, den ich nie kennengelernt habe, verstorben ist, und er in diesem Text vorkommt, veröffentliche ich ihn heute noch einmal.
Ich wurde 1971 als Kind in eine Wiener Arbeiterfamilie geboren. Obwohl: Gearbeitet hat nur die Mutter, aber die dafür umso härter. Mein leiblicher Vater zog es vor, das wenige Geld, das zur Verfügung stand, zu verspielen und sich zu verschulden. Zumindest erzählte mir das meine Mutter, denn meinen Vater habe ich nicht mehr gesehen, seit meine Mutter samt meiner jüngeren Schwester und mir in meinem 2. Lebensjahr die Beziehung fluchtartig verließ und innerhalb kürzester Zeit ein neuer Vater in mein Leben trat. Der war ein gewalttätiger Alkoholiker.
Nach einem schweren Arbeitsunfall, bei dem er fast seinen Arm verlor und auf den ein sehr langer Krankenstand folgte, lies er seinen Frust und seine rasende Wut auf die Umstände zunehmend an meiner Mutter und mir aus. Schläge wurden zur Gewohnheit. Bis heute kann ich nicht schmerzfrei knien, da meine Knie beschädigt sind, seit ich als Kind zur Strafe auf Lego-Steinen knien musste. Wir hatten damals als Kinder ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, saubere Kleidung und Spielzeug und durften trotz ständigen Geldmangels auch an allen schulischen Aktivitäten wie Landschulwochen und Skikursen teilnehmen. An viele vertrauensvolle, wärmende, beschützende Momente in dieser Lebensphase kann ich mich jedoch nicht erinnern. Heute weiß ich, dass ich zwar physisch alles bekam, was ich brauchte um zu wachsen, aber die Seele blieb hungrig und leer.
Als ich dann 12 Jahre alt war, erfuhren meine kleine Schwester und ich eines Abends völlig überraschend, dass es nun einen neuen, dritten Mann im Leben meiner Mutter gab und wir schon bald umziehen würden. Es folgte der dritte Vater, ein anständiger Mensch, der aber mit der neuen Familie zeitweise ebenfalls sehr überfordert war. Diese Erfahrungen hinterließen bei mir Spuren. Ich rebellierte, rasierte mir die Haare, färbte die übriggebliebenen bunt, unternahm mehrere erfolglose Anläufe in ein Berufsleben zu starten und suchte Anschluss bei anderen jungen Menschen aus zerrütteten Verhältnissen. Da empfand ich das erste Mal so etwas wie Geborgenheit, als Verlierer unter Verlierern. Unter diesen Gleichgesinnten fand ich Verständnis, Nähe, Gemeinschaft und Wertschätzung. Gefühle, die mir auch meine an Alzheimer erkrankte Oma nicht vermitteln konnte, zu der mich meine Eltern in meiner Pubertät abschoben. Als es schließlich auch meiner Oma zu viel wurde, landete ich bei der legendären Frau Ute Bock, die damals noch das berühmt-berüchtigte Gesellenheim in der Zohmanngasse in Wien Favoriten leitete. Dort stabilisierte ich mich allmählich und ich konnte mich, Dank der Unterstützung dieser wunderbaren Frau, ab meinem 18. Lebensjahr über meine erste Wohnung freuen.
Diese Wohnung war klein, sehr klein. Im Grunde war es ein einziger Raum mit Kochecke und Duschkabine, einem winzigen Vorzimmer und WC. Heute wäre es für mich unvorstellbar dort zu wohnen, aber damals war diese Miniwohnung meine Burg auf 18m2, mein Schutz, mein Zuhause.
Auszug aus meinem Buch „Die Suche nach Geborgenheit“.