Wir schreiben das Jahr 2024 und ich hätte nicht im Traum gedacht, dass ich es irgendwann wieder notwendig finden würde, meine rosaroten Plüsch-Boxhandschuhe anzuziehen und für meine (und Deine und unsere) Rechte zu kämpfen. Schliesslich bin auch nicht mehr der Jüngste und habe gedacht, das alles schon längst hinter mir gelassen zu haben. Aber bekanntlich kommt es meistens ohnehin anders, als man_frau denkt. Aber der Reihe nach…
Ich bin Jahrgang 1971. Bis dahin gab es in Österreich noch ein Totalverbot von Homosexualität. Österreich war tatsächlich eines der letzten Länder in Europa, in dem dieses Verbot (zumindest teilweise) aufgehoben wurde. Bis 2002 (!) blieben Sondergesetze in Kraft, die nur sehr zögerlich, unter großem politischen Druck abgeschafft wurden.
Wenn dich die Geschichte dieses politischen Kampfes um Gleichberechtigung und Akzeptanz näher interessiert, empfehle ich folgenden VICE-Beitrag: Klick!
Ich wusste bereits sehr früh, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Von Sexualität war das noch unendlich weit entfernt. Die kam bei mir auch erst relativ spät in mein Leben. In der Schule, Lehre, Arbeit und Freundeskreis wusste man_frau Bescheid, nur die Eltern konnten damit überhaupt nicht umgehen. Das änderte sich erst, als ich 2004 (mit 33!) meinen heutigen Mann kennengelernt habe.
In meiner Jugend engagierte ich mich immer offen (und offensiv!) in den unterschiedlichsten Initiativen und war in den 1990er Jahren unter den ersten Kandidat:innen, als Parteien begannen, ihre Wahllisten konsequent und gezielt auch mit queeren (damals noch LesBiSchwule genannte) Personen zu besetzen.
Am 27. März 2013 gingen mein Mann und ich schliesslich eine eingetragene Partner:innenschaft ein. So weit, so gut. Ziel erreicht, könnte man_frau meinen. Aber leider verhält sich das alles nicht ganz so einfach.
Geschichte und gegenwärtige Entwicklungen zeigen, dass erkämpfte Rechte nicht in Stein gemeißelt sind. Streng konservative, religiöse, antiliberale und rechtsextreme Bewegungen und Parteien sind nicht nur in Österreich auf dem Vormarsch, sondern machen europa- und weltweit queeren Menschen und Frauen ein freies, selbstbestimmtes Leben immer schwerer. Selbst liberale und fortschrittliche Menschen haben dem, außer Angst und Empörung, wenig entgegenzusetzen. Und das zieht sich mittlerweile auch bis in meinen höchst persönlichen Bereich. Folgende konkrete Anlässe haben mich dazu bewogen, nach langer Zeit wieder selbst aktiv zu werden:
- Die politische Entwicklung in Österreich macht mich zunehmend fassungslos. Wenn sich FPÖ-Obmann Herbert Kickl völlig ungeniert auf eine Bühne stellt und vor einer johlenden Menge „Wir sind für die Ärmsten der Armen statt für die Wärmsten der Warmen“ von sich gibt, dann ist eine Linie überschritten, die nichts mehr mit politischer Meinung, aber sehr viel mit Hetze und gesellschaftlicher Spaltung zu tun hat. Dem muss man_frau, meiner Meinung nach, konsequent entgegentreten.
- Einflussreiche Milliardär:innen wie Elon Musk und Joanne K. Rowling nutzen ihre Reichweite und gesellschaftliche Stellung zunehmend, um gegen Trans-Personen zu hetzen. Auch hier gehört klar entgegengewirkt und Position bezogen: Es gibt kein Hetero gegen Homo, kein Schwul gegen Bi, kein Trans gegen Frau oder Mann, kein gesund gegen krank. Wir waren immer da, wir sind viele, wir lassen uns nicht gegeneinander aufhetzen und wir gehen in dieser wunderbaren Vielfalt auch nicht mehr weg! Kommt damit klar.
- Selbst in einem vermeintlich emphatischen Bereich, wie im Seminar meines psychotherapeutischen Propädeutikums fielen bei der Einladung zu einer Übung Kommentare wie: „Und jetzt suchen sich die Männer eine schöne Frau als Übungspartnerin…“ Für die meisten mag dieser Satz vielleicht harmlos wirken, aber für mich stecken da gleich mehrere Red Flag 🚩 Botschaften drinnen. Als Reaktion habe ich mir am gleichen Abend dann übrigens noch ein Kleid gekauft und damit die Lehr-Therapeutin am nächsten Tag gehörig verwirrt.
- Und dann ist da noch der homophobe Stalker, der mir und meinem Mann seit über einem Jahr Drohbriefe und -E-Mails schickt, gefälschte Bestellungen in meiner Firma aufgibt, beleidigende und diskriminierende Blogkommentare verfasst, die neuen Firmenschilder herunterreisst, in der Nacht bei uns Sturm läutet und uns mit Anrufen terrorisiert. Obwohl mittlerweile das Gewaltschutzzentrum eingeschaltet und bei der Polizei Anzeige erstattet wurde, hält die beharrliche Verfolgung (§ 107a StGB, Strafdrohung immerhin bis zu drei Jahren Freiheitsentzug) bis heute unvermindert an.
- Erwähnenswert ist vielleicht auch noch die Supervisiorin, die als Reaktion auf meinen Bericht darüber lapidar feststellte, dass ich ja schon sehr offen mit meiner sexuellen Orientierung umgehen würde und das Stalking vielleicht dadurch provozieren könnte. Victim Blaming in Reinkultur. Und ja, ich weiß, dass sie eine ganz Liebe ist und das sicher nicht böse gemeint hat. Weh getan hat es trotzdem.
Alles in allem doch ein bisschen viel. Als geborener Wiener entschlüpft mir darauf ein: „OIDA!? Gehts noch?“ 😵💫
Was heisst das nun alles für mich? Ich bin ein schwuler CIS-Mann. Das bedeutet, ich wurde im Körper eines Mannes geboren, fühle mich darin wohl, lebe diese Identität und liebe Männer. Warum ich dann so häufig Kleider und Schmuck trage? Weil das die Hater am meisten irritiert und provoziert. Grüne Haare, Tattoos und Piercings schockieren heute niemanden mehr. Ein Mann im Kleid und Glitzerohrringen sorgt hingegen bei manchem immer noch für Schnappatmung. Ich liebe es, wenn ich nur durch meine äußere Erscheinung erreiche, dass im Hirn meines Gegenübers das Porzellan zerbricht. Vielleicht ist das ja eine Gelegenheit, die Dinge neu zu überdenken und zu sortieren. Ich sehe das deshalb auch als Einladung zur Reflexion.
Im Herzen bin ich immer ein Rebell geblieben. Einer, das aufsteht, wenn er etwas falsch findet. Einer, der sich vor niemanden fürchtet und sich solidarisiert. Einer, der mit Leidenschaft für ein freies, selbstbestimmtes Leben kämpft. Früher, viel, viel früher, habe ich das u.a. als Punk gemacht. Heute schlüpfe ich dafür in der Rolle der Tante Tom.
Und irgendwann schaffen wir es dann ja vielleicht wirklich, so zu leben, wie wir wollen und andere genauso leben zu lassen wie sie wollen. Meinen Optimismus lasse ich mir ganz sicher nicht nehmen.